Einst ließ sich Ecuadors Präsident Rafael Correa dafür feiern, die revolutionäre Yasuní-ITT Initiative in die Welt getragen zu haben. Dann kündigte er sie 2013 selbst auf. Seither soll mehr, statt weniger Erdöl im Land abgebaut werden. Dabei ist das Festhalten am Öl-basierten Entwicklungsmodell nicht nur ökologisch, sondern auch sozial und ökonomisch fatal – eine Energiewende hingegen durchaus machbar. Die AktivistInnen von YASunidos arbeiten daher an einer neuen, zivilgesellschaftlich organisierten Initiative für eine post-fossile Gesellschaft.
KEEP IT UNDERGROUND! Warum wir eine neue internationale Yasuní-ITT Initiative brauchen
Von Josephine Koch (Die Autorin ist Koordinatorin von YASunidos Deutschland)
Während Präsident Correa auf der Klimakonferenz in Paris im Dezember letzten Jahres einen internationalen Umweltgerichtshof fordert, lässt seine Regierung zu Hause die Erdölförderung auf ökologisch und sozial immer sensiblere Gebiete ausweiten – ungeachtet der Proteste der lokalen Bevölkerung und ihrer Rechte. Nun soll beispielsweise auch im sog. Gürteltierland im Yasuní Biosphärenreservat, am Rande des Yasuní Nationalparks, gebohrt werden können. Der Yasuní, ein Biodiversitäts-Hotspot im amazonischen Regenwald, steht qua Verfassung eigentlich unter Schutz, besonders die Gebiete, in denen zwei der letzten unkontaktierten Völker Ecuadors leben.1 Doch deren Präsenz im Gürteltierland wird plötzlich bestritten. Für zwei weitere Erdölfelder inmitten unberührten Regenwaldes wurden im Januar dieses Jahres bereits Förderkonzessionen an chinesische Firmen erteilt. Laut den BewohnerInnen dieses Gebiets hat es keine echte vorherige, freie und informierte Konsultation, wie es nationales und internationales Recht vorschreibt, gegeben.
Umstrittenes Entwicklungsmodell
Im selben Monat hat Ecuador einen Kreditvertrag mit Peking in Höhe von 7,5 Mrd. US-Dollar unterschrieben, obwohl es China bereits Milliarden schuldet. Da sich der Ölpreis in einem historischen Tief befindet, versucht Ecuador seine Wirtschaft über Kredite am Laufen zu halten. Zudem will die Regierung, die sich selbst als „links“ bezeichnet, die Struktur künftiger Öl-Verträge ändern, um sie unternehmensfreundlicher zu gestalten und so mehr ausländische Investoren anzulocken. Doch die stark vom Erdölexport abhängige Wirtschaft des Landes befindet sich bereits in einem kritischen Zustand: StaatsbeamtInnen werden entlassen, empfindliche Sparmaßnahmen eingeleitet und Importprodukte stetig teurer. Dennoch bleibt die Regierung Correa bei ihrem umstrittenen Entwicklungsmodell. Der Extraktivismus, also die massive Ausbeutung von Naturressourcen, soll noch stärker ausgeweitet werden, um ihn in einer späteren Phase zu überwinden.
Wirtschaftlicher Kollaps bei business as usual
Allerdings wird es dann zu spät sein. Laut einer Studie von YASunidos Deutschland2 über die Ressourcen- und Energiesituation in Ecuador, läuft der südamerikanische Staat auf einen wirtschaftlichen und in der Folge sozialen Kollaps zu. Warum, erklärt sie so: Trendberechnungen ergeben, dass die ecuadorianische Bevölkerung von aktuell 16 Mio. auf rund 20 Mio. Menschen im Jahr 2035 anwachsen wird. Der dadurch entstehende erhöhte Energiebedarf kann unter derzeitigen Bedingungen nur gedeckt werden, wenn Ecuador seine Ölfördermenge weiter steigert. Deshalb wird schon jetzt begonnen, auch die letzten unangetasteten Ölquellen im Land zu erschließen. Doch wie überall sind auch Ecuadors Erdölreserven begrenzt. Durch die erhöhte Fördermenge werden die geschätzten Vorkommen bereits 2030 nahezu aufgebraucht sein. Spätestens ab 2023 wird Ecuador schon nicht mehr in der Lage sein, den Ölexport auf dem derzeitigen Niveau zu halten, so die Studie. Das heißt, dass das Land, dessen größte Einnahmequelle der Verkauf von Erdöl ist, dann empfindliche Einnahmeverluste hinnehmen muss. Und es kommt noch schlimmer: Es muss über kurz oder lang sogar drauf zahlen, da es gezwungen sein wird, Erdöl zu importieren. Das wäre der Niedergang seiner Wirtschaft und würde eine soziale Katastrophe auslösen.
Das Erdölzeitalter ist vorbei
Dieser Prozess kann abhängig von der Entwicklung des Ölpreises etwas früher oder später beginnen. Vieles spricht gemäß der Studie allerdings dafür, dass der Ölpreis langfristig nicht wieder signifikant steigen wird. Grund dafür sind die in den letzten Jahren stark vorangeschrittenen Technologien für regenerative Energien, die eine immer höhere Effizienz bei günstigem Preis erzielen. Strom aus erneuerbaren Energien ist heute schon billiger als Strom aus fossilen Quellen. Derzeit machen erneuerbare Energien bereits einen Anteil von 12% an der globalen Energieversorgung aus, Tendenz steigend. Aufgrund der vergleichsweise hohen Förderkosten im unwegsamen Gelände des Regenwaldes und der minderwertigen Qualität des dortigen Schweröls, hat Ecuador bei dauerhaft niedrigen Rohölpreisen Schwierigkeiten, kostendeckend zu arbeiten, geschweige denn Gewinne einzufahren.
Energiewende jetzt!
Die Alternative liegt auf der Hand. Ecuador verfügt über sehr gute natürliche Voraussetzungen für die Erzeugung regenerativer Energie, vor allem aus Sonne und Wind. Dass eine Energiewende keine verrückte Idee ist, zeigen die Beispiele Island, Costa Rica, Albanien, Neuseeland und viele mehr, deren Stromerzeugung z.T. komplett aus erneuerbaren Energien stammt. Berechnungen der zitierten Studie zufolge könnte auch Ecuadors Strom binnen weniger Jahre und bei konsequentem Zubau die gesamte Primärenergie ab 2031 zu 100% auf regenerativen Energieträgern basieren. Unter Annahme der üblichen Dauer der Amortisierung bei regenerativen Energieanlagen könnte in relativ kurzer Zeit sogar saubere Energie und wertvolles Know-How gewinnbringend exportiert werden. Unterm Strich bedeutet das: 90% der geschätzten noch vorhandenen Ölreserven können im Boden bleiben. Schluss mit der Zerstörung von Lebensraum und der Befeuerung des Klimawandels! Und es bedeutet auch: Unabhängigkeit. Endlich wird Ecuadors historisch-kolonial bedingte Benachteiligung als Rohstoffexporteur überwunden. Aber das Zeitfenster ist klein. Es muss jetzt mit der Energiewende begonnen werden, soll die ökologische Katastrophe sowie der ökonomische und soziale Niedergang verhindert werden.
Initiative ergreifen – von unten
Für die Finanzierung der Investitionskosten kommen verschiedene Methoden infrage. Einen wichtigen Beitrag kann eine Art neue Yasuní-ITT Initiative3 leisten, an deren Konzeption gerade das junge zivilgesellschaftliche Bündnis YASunidos arbeitet, das sich nach dem Ende der einstigen Yasuní-ITT Initiative formiert hat. Ebenso wie die alte, sieht auch die neue Initiative vor, die internationale Gemeinschaft bei der Transformation hin zu einer post-fossilen Gesellschaft mit in die Pflicht zu nehmen. Denn klar ist: die HauptkonsumentInnen von Erdöl, Kohle und Gas leben nicht in Ecuador und dem globalen Süden. Regenwälder jedoch sind Gemeingut. Alle profitieren von ihrem Erhalt, also müssen sich auch alle darum kümmern. Dabei haben sich bisher weder die ecuadorianische Regierung noch die meisten anderen Regierungen dieser Welt verdient gemacht. Wir können nicht warten, bis sie es mal tun. Deshalb soll die neue Initiative von unten, der Zivilgesellschaft, organisiert werden – ohne jedoch die Staaten aus der Verantwortung zu entlassen.
Über den Yasuní hinaus
Der Yasuní spielt dabei eine wichtige Rolle. Er ist zu einem weltweiten Symbol für den Widerstand gegen den Raubbau an der Natur geworden. Doch auch andere Ökosysteme und deren BewohnerInnen sind von der massiven Ressourcenausbeutung bedroht. Um dem Klimawandel noch etwas entgegensetzen zu können, müssen wir 80% der verbleibenden fossilen Brennstoffe weltweit unangetastet lassen. Ziel ist es daher, über den Yasuní hinaus, von Extraktivismus betroffene Gemeinden ausgehend von Ecuador in ihrem Kampf zu unterstützen, diese Ressourcen4 im Boden zu lassen. Entsprechend der Bedürfnisse der direkt betroffenen Menschen vor Ort sollen konkrete Alternativprojekte in Partnerschaft mit AkteurInnen aus dem globalen Norden initiiert werden. Neben lokalen Energienetzen auf Basis von Erneuerbaren, kann es dabei z.B. um Ökolandwirtschaft, sanften Tourismus oder andere Formen solidarischen, umweltgerechten Wirtschaftens gehen. Finanziert werden soll dies, ähnlich wie bei der Yasuní-ITT Initiative, durch einen fair und transparent verwalteten internationalen Fonds, in den Einzelpersonen, Kommunen, Wirtschaft und Staaten einzahlen können.5
Wenn sich lokale Gemeinden auf diese Weise Spielraum verschaffen, „Nein!“ zur Erdöl- oder Kohleausbeutung zu sagen und somit dazu beitragen, dass 80% der verbleibenden fossilen Brennstoffe im Boden bleiben, müssen wir hierzulande gleichzeitig dafür sorgen, dass die Nachfrage nach diesen Energieträgern weiter zurückgeht. Ein Teil der Initiative dreht sich deshalb darum, hier existierende Ansätze zur realen Senkung des Ressourcenverbrauchs zu bündeln und mit starken politischen Forderungen zu verbinden. Wir müssen raus aus der Exoten-Öko-Freak-Ecke und systemrelevant werden!
1 Ein Eindringen in das Gebiet der Tagaeri und Taromenane beschreibt die Verfassung sogar als Ethnozid.
2 Basierend auf aktuellen Wirtschaftsdaten Ecuadors. Wissenschaftliche Leitung: Stefan Golla, Energieexperte und Physiker. Veröffentlichung in Planung.
3 Diese sah vor, das Erdöl in einem Teil des Yasuní Nationalparks unangetastet zu lassen. Im Gegenzug sollte der Norden 3,6 Mrd. US-Dollar in einen UN-Fonds zur Investition in erneuerbare Energien, Bildung, Wiederaufforstung, Ökolandwirtschaft und -tourismus einzahlen.
4 Und darüber hinaus auch Gold, Kupfer und andere Rohstoffe, deren Förderung mit extremer Umweltzerstörung verbunden ist.
5 Geld muss jedoch nicht immer eine Rolle spielen. Gegenstand einer Partnerschaft zwischen Nord und Süd auf Augenhöhe kann beispielsweise auch ein Austausch von Wissen, Technologie oder auch Arbeitskraft sein.
Zuerst erschienen im Rundbrief Forum Umwelt und Entwicklung 1/2016: 37-38.