Gesellschaftsvertrag mit der Umweltbewegung oder Pakt mit der Rohstoffindustrie?
Zur Volksabstimmung in Ecuador über Ölförderung und Minenabbau
Lenín Moreno, der neue Präsident Ecuadors, ordnete eine Volksabstimmung an, um den von seinem Vorgänger Rafael Correa verursachten Schaden nach eigener Aussage wieder „gerade zurichten“, und sich so mit der Zivilgesellschaft und ihren Forderungen zu verbünden. Am 4. Februar dieses Jahres offenbarte eine überwältigende Mehrheit der Ja-Stimmen erneut das Umweltbewusstsein der ecuadorianischen Gesellschaft. Die Fragen zum Thema Umweltschutz erhielten 70 Prozent Zustimmung. Gleichzeitig waren sie so mehrdeutig formuliert, dass sie dennoch eine Ausweitung der Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark nach sich ziehen könnten, was die Ausblutung der indigenen Völker des Landes durch den Bergbau bedeuten könnte.
(Übersetzung aus dem Spanischen von Anne Ursinus und Josephine Koch)
Die seit Jahrzehnten bestehende Rohstoffausbeutung in Ecuador hat zu einer immensen Umweltzerstörung geführt. Gleichzeitig zeichnet sich das Land durch eine enorme biologische Artenvielfalt und die Anerkennung des Selbstregierungsrechts verschiedener kultureller Nationen (Plurinationalität) aus. Dies alles schuf ideale Rahmenbedingungen für ein wachsendes Umweltbewusstsein einerseits und Konflikte um die Rohstoffförderung andererseits. Internationale Bekanntheit erlangte z. B. der Prozess gegen den Ölkonzern Chevron-Texaco, die Verteidigung des Gebietes um Sarayaku, der Kampf gegen den Megabergbau und die Erklärung der Rechte der Natur, aber vor allem auch die Yasuní-ITT-Initiative (2007 bis 2013) zum Schutz des Yasuní-Nationalparks.
Nach der enttäuschenden Beendigung der Yasuní-ITT-Initiative durch Präsident Correa zerbrach damit auch eine der wichtigsten und symbolträchtigsten Abmachungen mit der ecuadorianischen Gesellschaft, dem Schutz der Natur Vorrang vor ökonomischen Interessen zu gewähren. Ziel der Initiative war es, die Förderung von 900 Millionen Barrel Erdöl in einem der artenreichsten Gebiete der Welt und Heimat unkontaktierter, indigener Völker zu vermeiden. Correa beugte sich jedoch dem Druck der Rohstoffwirtschaft und offenbarte damit seine wahre politische Strategie: Die ‚Entwicklung’ des Landes zu Lasten des Yasuní-Regenwaldes und seiner BewohnerInnen voranzutreiben.
Das Aussterben der Demokratie
Getrieben von ihrem Unmut über die Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark schloss sich eine Vielzahl von EcuadorianerInnen im August 2013 zusammen, um eine Volksabstimmung über folgende Frage zu initiieren: „Sind Sie damit einverstanden, dass das Erdöl im Yasuní-Nationalpark auf unbestimmte Zeit unter der Erde bleiben soll?“. Die Initiative Yasunídos entstand. Nichtsdestotrotz erklärte die ecuadorianische Wahlbehörde die dafür gesetzlich notwendigen, gesammelten Unterschriften fälschlicherweise für ungültig und verhinderte somit die Volksabstimmung. Dies führte zu heftiger Kritik an der Regierung Correa und ihrem autokratischen Regierungsstil. Am Ende der Präsidentschaft Correas blieben die Forderungen der UmweltschützerInnen nicht nur unbeachtet, sie verschärften sich. Infolgedessen war die Präsidentschaftswahl im Februar 2017 für Yasunidos ein wichtiger Moment, um die öffentliche Debatte über den Umweltschutz zu intensivieren.
Neuer Präsident – neue Volksabstimmung
In dieser komplexen Situation entstand die Medienkampagne ‚7 Punkte für die Yasunisierung der Präsidentschaftsdebatte‘. Sie sollte die KandidatInnen unter Druck setzen und auf folgende drängende Forderungen aufmerksam machen: Den Stopp des Megabergbaus, den notwendigen Übergang zum Post-Erdöl-Zeitalter, die dringende Stärkung der direkten Demokratie, eine Amnestie für UmweltschützerInnen, die Verhinderung des Ethnozids an den indigenen Gruppen und die fortschreitende Umweltzerstörung im Yasuní-Nationalpark, die Ablehnung jedweder Tierquälerei, die Sicherstellung der Ernährungssouveränität und den Schutz der Wälder überall im Land.
Als Lenín Moreno das Amt als neuer Präsident Ecuadors antrat, schlug er eine Volksabstimmung über 7 Fragen vor, die am 4. Februar 2018 mehrheitlich mit Ja beantwortet wurden. Inhalt dieser Fragen war z. B. die Aufhebung der unbegrenzten Wiederwahlmöglichkeit des Präsidentenamts, die Neustrukturierung des unter der Vorgängerregierung mangelhaft funktionierenden Rates für Bürgerbeteiligung und soziale Kontrolle oder die Abschaffung des Gesetzes über Kapitalgewinne. Andere Fragen betrafen die Nichtverjährung von Sexualstraftaten, das Verbot der Bekleidung politischer Ämter für Personen, die wegen Korruption schuldig befunden wurden und das Förderverbot von Erzen und Metallen in Schutzgebieten und städtischen Zentren sowie die flächenmäßige Vergrößerung des für unantastbar erklärten Gebietes und eine Einschränkung der Erdölförderung im ‚Block 43‘ des Yasuní-Nationalparks (1). Letztere beiden Fragen sollten dem Bedürfnis des sich nach Gerechtigkeit sehnenden Volks, über die Forderungen der Umweltbewegung abzustimmen, Rechnung tragen. Jedoch fehlte es an einem ernsthaften Bemühen um eine Minderung des blutigen Kriegs gegen den Extraktivismus – einem Wirtschaftsmodell, das zwar die Entwicklung eines Landes fördern soll, aber auf einer hohen Abhängigkeit vom intensiven Abbau natürlicher Ressourcen beruht, welche meist unverarbeitet an das Ausland verkauft werden.
(1): https://www.telesurtv.net/english/news/Yes-Ecuador-Referendum-Correa-20180204-0030.html
Warum werden die Fragen zum Thema Umwelt kritisiert?
Obwohl die Frage über den Yasuní-Nationalpark „Sind Sie damit einverstanden, die unantastbare Zone um mindestens 50.000 Hektar zu erweitern und die von der Nationalversammlung genehmigte Fläche zur Erdölförderung im Yasuní-Nationalpark von 1.030 Hektar auf 300 Hektar zu begrenzen?“ wieder zu mehr nationaler und internationaler Aufmerksamkeit über die Yasuní-Problematik führte und die Diskussion um ein Post-Erdöl-Zeitalter neu entfachte, war die Debatte doch ungenügend. Denn wieder ging es nicht um einen Stopp der 350 Ölbohrungen im ‚Block 43‘ des Yasuní. Die Frage enthielt lediglich eine willkürliche Zahl zur ‚Begrenzung‘ des betroffenen Fördergebietes und zur Vergrößerung der unantastbaren Zone – dem Territorium der indigenen Völker, die in freiwilliger Abgeschiedenheit leben – mit nicht näher beschriebenen Strategien, Maßnahmen und Flächenangaben. Angesichts dieser Ungewissheit verlangte Yasunídos eine Klärung durch das ecuadorianische Verfassungsgericht. Eine Antwort des Gerichts blieb jedoch aus. Bekannt ist allerdings, dass die aktuellen Erdöläktivitäten weit über die genehmigte Fläche hinausgehen.
Auch die Frage zum Minenabbau „Sind Sie damit einverstanden, dass die Verfassung der Republik Ecuador geändert wird, um die Förderung von Erzen und Metallen in Schutzgebieten, unantastbaren und städtischen Zonen (…) ausnahmslos zu untersagen?“ ist mit Hinblick auf den aktuellen, blutigen Kampf gegen den Bergbau in Ecuador unzureichend. Beispiele dafür sind die staatlichen Bergbauprojekte in Tundayme, iNankints, Kutukus, Panantza-San Carlos und Intag, nordwestlich von Quito. Fraglich ist, ob das Ziel dieser Frage tatsächlich darin liegt, die Bergbaukonflikte zu lösen. Tatsächlich schließt die Formulierung der Frage eine Fläche von mehr als 11.000 Hektar (2) geschützter und städtischer Gebiete ein, die sich mit bereits bestehenden Bergbauprojekten überschneiden.
Zugleich führt die Beschränkung der Problematik auf dichtbevölkerte und geschützte Gebiete dazu, dass andere ökologisch und sozial verwundbare Landstriche schutzlos ihrem Schicksal überlassen werden. Dabei handelt es sich um Gemeinden mit weniger als 2.000 EinwohnerInnen oder auch um Biosphärenreservate.
(2): https://geografiacriticaecuador.org/2018/01/19/analisis-del-alcance-de-la-pregunta-sobre-mineria-en-el-referendum/
Das ecuadorianische Volk fordert mehr Ökologie und weniger Extraktivismus
Mit der triumphalen Mehrheit der Ja-Stimmen wird das Umweltministerium ein Gutachten zur Prüfung der Verringerung des Erdölförderungsgebietes im Yasuní-Nationalpark innerhalb von 120 Tagen ab dem 16. Februar 2018 erarbeiten. Das Gutachten soll Sachberichte der Ministerien für Justiz, fossile Brennstoffe und Umwelt enthalten und anscheinend auch die Zivilgesellschaft einbeziehen. Der Versöhnungskurs wird allerdings durch die Tatsache zunichte gemacht, dass der Minister für fossile Brennstoffe am 4. Februar die 11. Ausschreibungsrunde für Erdölfördermaßnahmen mitten im Amazonasgebiet Ecuadors im Urwald bestätigte.
Derweil bleiben Yasunidos und die BefürworterInnen der Umweltbewegung wachsam und kampfbereit. Nach Verstreichen der 120 Tage werden sie eine Erklärung darüber fordern, wo die mindestens 50.000 Hektar zur Vergrößerung der unantastbaren Zone und das Gebiet zur Erdölförderung wirklich liegen. Die tatsächlich betroffene Fläche muss klar bestimmt werden. Es bedarf also eines Plans zur Wiederherstellung des Parks, aber auch zur Verringerung der Erdölfördermaßnahmen, da diese zu Menschenrechtsverletzungen und zur Zerstörung der Natur führen.
Die EcuadorianerInnen haben sich in der Volksabstimmung klar für den Schutz der Natur ausgesprochen. Damit fordert das Volk einen nutzbringenden Pakt mit der Umweltbewegung, nicht mit der Rohstoffindustrie, ein. Es ist ein Aufruf zur gesellschaftlichen Einigung, wie sie laut Verfassung vorgesehen ist, anstelle von hinterhältigen Verwirrungsstrategien, die soziale Konflikte provozieren und eine Zerschlagung der ecuadorianischen Umweltbewegung anstreben.
Elena Gálvez und Jorge A. Espinosa
(Die AutorInnen sind SprecherInnen von Yasunídos)
- Dieser Artikel wurde zuerst im Rundbrief Forum Umwelt und Entwicklung 1/2018 veröffentlicht
Sukuma arts e.V. wird die Umweltbewegung in Ecuador wie bisher aufmerksam verfolgen. Fakt ist, dass die Unterstützer*innengruppe in Deutschland weiterhin mit den Aktivist*innen vor Ort an einem Strang ziehen wird.
Headerfoto: Yasunidos